3 Wochen
„4 3 2 1“ ein Roman von Paul Auster, Rohwolt
„Was wäre, wenn….“ ? Dies ist doch die Frage um die es in der Literatur eigentlich geht. Die Frage, die uns veranlasst Geschichten zu schreiben und Bücher zu lesen. Genau diesen Konditional reizt Paul Auster auf brillante Art und Weise aus. Gleich vier mögliche Lebensentwürfe stellt er seinem Helden Ferguson, geboren 1947 in Newark, USA zur Verfügung. Der gleiche Mensch, dieselben Startbedingungen für vier unterschiedliche Leben. Vier Biografien, ein Charakter. Und das erstaunlichste ist, dass Ferguson, egal, was ihm zustößt, dieselbe Seele behält. Nur ein Meister, wie Paul Auster schafft es, seine Leser über 1000 Seiten am Ball zu halten. Er selbst sagte: „Ja, die Geschichte ist lang und verlangt dem Leser viel Geduld ab, aber die Zeilen fliegen dahin“. Nach der Lektüre muss man fast sicher annehmen, die Liebe zu Büchern, zu Literatur, zum Schreiben sei einem in die Wiege gelegt, denn egal was Ferguson auch passiert, Bücher sind das Zentrum des Gravitationsfeldes, um das sich sein Dasein bewegt. Und Sex. Sex oder die Sehnsucht danach plagen den Helden immerzu, lassen ihn dann aber wieder in ungeahnte Höhen aufsteigen. Man könnte kritisch anmerken, es handle sich um das Alterswerk eines amerikanischen Bildungsbürgers, der sich an seine Jugend und verlorene Virilität klammert, wären da nicht diese beeindruckenden Frauenfiguren, denen Auster in der Gestalt von Fergusons Mutter Rose, einer wunderschönen talentierten Fotografin, der bisexuellen Kunsthistorikerin Vivian Schreiber, die dem neunzehnjährigen Ferguson in Paris eine Gefährtin und Förderin wird und Fergusons weiblicher Counterpart Amy Schneiderman, die unerschrockene Menschenrechtsaktivistin und Gerechtigkeitsfanatikerin Tribut zollt. 4 3 2 1 ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman mit Tragödien und Glücksfällen, mit Schicksalsschlägen und zauberhaften Liebenswürdigkeiten, eine Geschichte der Vereinigten Staaten zwischen 1950 und 1970. Eine Hommage an das Buch, das Leben, die Liebe und daran, was alles möglich sein könnte, was uns nur zufällig trifft und welche Freiheiten uns, beängstigenderweise, offenstehen.
2 Wochen

„Zärtlich ist die Nacht“ von F.S. Fitzgerald, Diogenes
Es gibt Sätze, nach deren Lesen man innehalten und tief durchatmen muss. Sie sind von einer derartigen Schärfe und Schönheit, dass man sie wieder und wieder lesen will. Es ist nicht so, dass diese Sätze sich aneinander reihen und man wie einer Droge gegenüber irgendwann Toleranz entwickeln wird oder dass eine Art Gewöhnung eintreten könnte. Nein, diese Sätze treffen einen stets unerwartet. Man streunt durch die Geschichte, die Seiten, die Ereignisse tröpfeln dahin und „bang!“ – da ist wieder einer dieser Fitzgerald-Sätze, die einem den Boden unter den Füssen wegziehen und uns denken lassen, wie ist das möglich? Wie kann ein Mensch von dieser Welt Worte so aneinanderreihen, dass ein Satz zu einem Kunstwerk wird? Nun, F. Scott Fitzgerald kann es. Das Buch, ein Klassiker, erschienen unter dem Originaltitel „Tender is the Night“, an dem Fitzgerald neun harte Jahre arbeitete, war zunächst gar kein Erfolg. Für mich ist es eines meiner „Lebensbücher“. Warum? Vielleicht, weil es so harmlos, fast gelangweilt beginnt. Ein Strand, die französische Riviera, kultivierte amerikanische Gesellschaft, die uns anfangs nur müde gähnen lässt, obgleich uns das Träumen von Südfrankreich angenehm ist. Dann plötzlich der Bruch. Kaum jemand ist wie Fitzgerald in der Lage, die Abgründe darzustellen, die sich hinter den scheinbar perfekten Leben der nur scheinbar perfekten Protagonisten auftun . Das Glück des Arztehepaares Diver scheint zunächst durch eine junge, reizende Schauspielerin gefährdet, bis man feststellt, dass es die dreckigen Flecken hinter der Fassade sind, die Lebensgeschichte, das, was ihnen zugestoßen ist, bevor die junge Schönheit sich in ihre Symbiose drängte. Man ist als Leser gezwungen zuzusehen, wie die Magie sich in Elend verkehrt, wie die Helden, die man lieb gewonnen hat scheitern und man kann nichts dagegen tun, außer sich an diesen großartigen Sätzen zu laben, die das einzige sind, was über die gestutzten Flügel der anmutigen Schmetterlinge hinwegtröstet. Ganz große Literatur.
Eine Woche

„Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells, Diogenes
Hat man nur eine Woche Zeit, lässt sich dieser Roman von Benjamin Wells leicht und mühelos lesen. Gut, er ist nicht von der literarischen Qualität eines Auster oder Fitzgerald, wie auch? Aber was Wells kann, ist eine Geschichte erzählen. Und die Geschichte dreier zu früh verwaister Geschwister ist mitreißend, spannend, und traurig. Im Mittelpunkt der Geschichte steht einsam und verloren Jules. Jules, der seinen Bruder und seine Schwester so sehr zur Bewältigung der Trauer über den Verlust der viel zu früh verstorbenen Eltern brauchen würde, aber oft die Distanz zu ihnen schier unüberwindlich scheint, obwohl sie im gleichen Internat aufwachsen. „Es gibt keine Geschwisterliebe“, sagte Anna Freud, die Kennerin der kindlichen Seele. Doch, es gibt sie, aber es ist eine schwierige, konfliktreiche Liebe. Ein Kampf um Abgrenzung und Annäherung, ein Kampf um Liebe und Distanz, den hier Benedict Wells vortrefflich zu beschreiben vermag. Und dann ist da noch Freundschaft und Liebe. Und die erstaunliche Tatsache, dass das Leben oft unergründliche Wege einschlägt, dass es uns überrascht und vom Hocker hauen kann, dass schließlich doch alles so kommt, wie es kommen muss und dass Dinge oft nicht dann enden, wann und nicht so, wie wir es erwarten. Am Ende dieses Buches bleiben Tränen wohl nicht aus. Aber es lässt uns auch mit wohliger Wärme und der Gewissheit zurück , dass das Leben am Ende jede einzelne Träne Wert ist.
Für Kleine, immer wieder

„Der Troll und die wilden Piraten“ von Julia Donaldson und David Roberts, Knesebeck
Was kann besser sein, als ein Kinderbuch, das dem Kinde und dem Vorleser oder der Vorleserin gleichermaßen gefällt. Den „Grüffelo“ kennt jeder, selbst Menschen, die keine Kinder haben. Mit dem „Troll und den wilden Piraten“ hat die Autorin wieder eine wunderbare Geschichte geschaffen, in der Trolle und Piraten aufeinandertreffen, und man nicht aus purer Raffgier einen Schatz finden will, sondern um sich endlich einen anständigen Koch leisten zu können. Einfach hinreißend!
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